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Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen und die Kunst der Über- / Umsetzung

Auf der Fachtagung zur Behindertenrechtekonvention am 30. März 2009 in Nürnberg berichtete der Behindertenbeauftragten der Landeshauptstadt München, Herrn Oswald Utz, von seinen Erfahrungen.
Hier die Rede im Wortlaut:

Sehr geehrte Frau Staatsministerin Haderthauer,
liebe Kollegin Badura,
liebe Kolleginnen und Kollegen
sehr geehrte Damen und Herren,

“In allen Lebensbereichen werden Menschen mit Handycap behindert und ignoriert.“

So wird Frau Evers-Meyer, die Behindertenbeauftragte des Bundes im Spiegel vom 5. März 2009 zitiert.

Diese Erfahrung wird mir auch immer wieder in meiner Bürgersprechtstunde vorgetragen, hierzu einige Beispiele.

  • Arbeitsuchende Menschen mit Behinderung quälen sich durch einen Dschungel an Zuständigkeiten, wo auch mancher Profi verzweifelt.
  • Freie Arztwahl ist illusorisch. Noch immer suchen sich Rollstuhlnutzer ihren Arzt danach aus, ob die Praxis erreichbar ist.
  • Gehörlose Menschen treffen kaum auf Ärzte, die die Deutsche Gebärdensprache beherrschen.
  • Menschen mit einer geistigen Behinderung finden keine geeigneten Ärzte für ihre Anliegen.
  • Frauen mit einer Behinderung erleben häufig eine doppelte Diskriminierung, weil auch für sie die Regeln der konventionellen Erwartung gelten: sie muss einem besonderen Schönheitsideal entsprechen und die Versorgerrolle übernehmen können.
  • Ein selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Assistenzbedarf ist noch immer keine Selbstverständlichkeit.
  • Diese Liste ließe sich beliebig fortführen.

In Artikel 9 der Behindertenrechtskonvention - und hier erhalte ich neben Artikel 24 die meisten Beschwerden - wird die Zugänglichkeit geregelt, beispielsweise zu Gebäuden, Transportmitteln, Informations- und Kommunikationsdienste.

Fakt ist:

Trotz der vielen Gesetze (SGB IX, ein Regelwerk das Selbstbestimmung und Teilhabe verspricht, AGG, Behindertengleichstellungsgesetz und Artikel 3, Absatz 3 im Grundgesetz) entstehen täglich neue Barrieren für Menschen mit Behinderung.

Wer gegen diese vorgehen will, hat kaum Mittel diese durchzusetzen, so dass die Verursacher keine Angst vor Sanktionen haben müssen.

· In der Gastronomie, so bestätigt auch Frau Evers-Meyer, könne von Barrierefreiheit keine Rede sein, es fehlen Rampen genauso wie Behindertentoiletten, ganz zu schweigen von Speisekarten für blinde Menschen.

· Der Geschäftsführer des Gehörlosenverbandes München und Umland (GMU), Herr Rudolf Sailer weist in der Süddeutschen Zeitung vom 21. und 22. März 2009 abermals darauf hin, wie beschämend die Situation für gehörlose Menschen bei TV-Sendungen ist. Nur fünf Prozent aller Sendungen im deutschen TV sind untertitelt oder werden mit Gebärdensprache unterlegt, Deutschland ist hier Entwicklungsland. Andere europäische Länder wie Österreich und Spanien zeigen, dass es auch anders geht.

· Ich finde kaum wohnortnahe Wohnmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung, im Gegenteil, wenn ich mir die Entwicklung der letzten Jahre so ansehe, werden wieder mehr und mehr große Anstalten für Menschen mit Behinderung gebaut.

 

Aber wer weiß, vielleicht ist das ja auch der Grund, weshalb bei uns die Umsetzung so zäh ist, weil man im Grunde davon ausgeht, dass Menschen mit Behinderung in Zukunft sowieso wieder in Einrichtungen verräumt werden, weil sie dort leichter zu verwalten sind.



Nun zu Artikel 24 der Behindertenrechtskonvention, dem Recht auf Bildung.

In der taz vom 05. März 2009 „Behinderte Schüler in Deutschland - Aussortiert und abgesondert“ wird der baden-württembergische Kultusminister Helmut Rau (CDU) auf die Frage wie sein Ministerium auf die neue Rechtslage reagiert, wie folgt zitiert:

„Baden-Württemberg erfüllt mit den Angeboten und Möglichkeiten seines Schulsystems, wie alle anderen deutschen Ländern auch, die Forderung der UN nach einer gleichwertigen Bildungsteilhabe für Menschen mit Behinderung.“

Aha, wie kommt es dann, dass ich in meiner Sprechstunde besonders viele Anfragen dazu habe und hautnah, Enttäuschung, Verärgerung, Wut und Ohnmacht mit der Umsetzung erlebe?

Eine inklusive Bildung (nicht integrative Bildung) ist der Schlüssel für viele Problemlösungen.
Wir sind uns beispielsweise bei Migrantinnen und Migranten darüber einig, dass ein Miteinander nur dann funktionieren kann, wenn wir es von Kindesbeinen an gemeinsam lernen.
Bei Menschen mit Behinderung wird aussortiert mit dem Versprechen, dass man in den Anstalten und Sondereinrichtungen fit für das Leben gemacht wird.

Glauben können dies nur noch all die Verantwortlichen aus Politik und Gesellschaft, die nicht verfolgen, was mit den Schülerinnen und Schüler nach der Schule geschieht.

 

Beispiel 1

ein 6 Jahre altes Mädchen mit einer leicht motorischen Einschränkung geht in den integrativen Kindergarten, als sich die Eltern bei der Sprengelschule anmelden wollen, wird das Mädchen abgelehnt, obwohl in sämtlichen Gutachten ein Besuch der Regelschule befürwortet wird

 

Beispiel 2

ein körperbehindertes Mädchen geht in Ingolstadt auf die Realschule und verlässt es mit der Mittleren Reife; nun möchte sie auf die FOS in Ingolstadt, der Rektor an der FOS unterstützt sie nicht und macht auf eine Sondereinrichtung in München aufmerksam

 

Jetzt sagen Sie vielleicht, das sind Einzelfälle. Hier lohnt dann aber doch ein Blick in die Statistik. Schaut man sich die Zahlen der Kultusministerkonferenz aus dem Jahre 2006 an, erkennt man sehr schnell, dass dies keine Einzelfälle sind.
In Bayern werden circa 87,5 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit Förderbedarf in der Sonderschule beschult, d.h. im Aussortieren gehören wir zur Weltspitze, der EU Durchschnitt liegt bei etwa 20 Prozent. Wer in Bayern zu den 12,5 Prozent gehören will, muss kämpfen und Durchhaltevermögen besitzen, wie mir z.B. der Verein Down Kind e.V. berichtete.

In Bayern werden somit im Durchschnitt mehr als fünfmal so viele Schülerinnen und Schüler wie im EU Durchschnitt aussortiert.
Diese Tatsache muss ja nicht gegen die Sonderschule sprechen. Hält man sich dann aber vor Augen, dass an der Sonderschule weniger gelernt wird als an der Regelschule und dass die Abwesenheit der Sonderschülerinnen und Sonderschüler den übrigen Schülern nichts nützt (vielfach wird ja immer noch das längst widerlegte Argument bemüht, nicht behinderte Schülerinnen und Schüler werden in ihrem Lerntempo beeinträchtigt) so ist dies meiner Ansicht nach ein Skandal.
Nur 0,2 Prozent aller Schülerinnen und Schüler mit einem Förderbedarf machen das Abitur, 77 Prozent von ihnen schaffen nicht einmal den Hauptschulabschluss.
Wie sagte doch noch Herr Spaenle in seiner Presseerklärung vom 18. März 2009:
“Dabei muss die elementare Rolle der Förderschule aber weiterhin anerkannt bleiben.“ Der erfolgreiche Weg Bayerns „Integration durch Kooperation“ verfolgt die aktive Förderung …
Ich kann nicht glauben, dass unser Kultusminister wirklich der Überzeugung ist, dass dies ein erfolgreicher Weg ist.
So habe ich mich immer und immer wieder gefragt, warum die Kultusministerinnen und Kultusminister an einem System festhalten, das für viele Menschen mit Behinderung zumeist in der Werkstatt für Menschen mit Behinderung endet, warum der Eltern- und Schülerwille so mit Füßen getreten wird?
Warum an einem System festgehalten wird, dass so brutal aussiebt und aussortiert?

Auf eine Antwort bin ich dann bei Frau Lisa Pfahl, Soziologin am Wissenschaftszentrum Berlin, gekommen, die in einem Interview mit dem Deutschlandradio am 6. März 2009 folgendes sagte:
„Ich glaube, es gibt eine große Angst der konservativen Politiker, dass mit der Integration von behinderten und benachteiligten Schülern in das reguläre Schulsystem die Gliedrigkeit des Schulsystems in Gefahr steht. Und wenn wir Integration oder besser gesagt Inklusion aller Schüler und einen gemeinsamen Unterricht zu Ende denken, dann bedeutet das einen gemeinsamen Unterricht aller Schüler.“

War es nicht unser Kultusminister Herrn Spaenle, der forderte:

„Nicht die Ideologie, sondern das Kind muss im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen“

(Presseerklärung vom 25. Februar 2009)?

Leider meint Herr Spaenle etwas anderes damit als Frau Pfahl. Er findet das Bayerische Förderschulkonzept gut und will sich allen doktrinären Integrationsforderungen mit allen Mitteln widersetzen. (Mittelbayerische Zeitung vom 20. Februar 2009).

Ich denke, es ist an der Zeit, dass auch wir uns den doktrinären Ansätzen des Aussortierens widersetzen.

Und wir sollten Herrn Spaenle beim Wort nehmen: “Wenn es sein muss, lass ich mich dafür verklagen“, sagte er in der Mittelbayerischen Zeitung vom 20. Februar 2009 .

Ich sage, auch davor dürfen wir nicht zurückschrecken, wenn wir Fortschritte in Richtung Inklusion machen wollen.

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nach meinen bisherigen Erfahrungen mit der Behindertenrechtskonvention und all den anderen bereits verabschiedeten Gesetzen denke ich, dass wir noch sehr viel Engagement und Ausdauer haben müssen bis es zur Umsetzung der Gesetze, der Behindertenrechtskonvention und zu einer echten Teilhabe kommt. Das wird noch ein langer Weg sein.

Ich bin davon überzeugt, es lohnt sich ihn zu gehen.

Hier halte ich es wie meine Freunde aus der Selbstbestimmt Leben Bewegung.
Sie bezeichnen die Behindertenrechtskonvention als Schatz, der gehoben werden muss.

Helfen Sie uns dabei, denn ich bin der festen Überzeugung, eine inklusive Gesellschaft ist eine menschenfreundliche Gesellschaft und die werden auch nicht behinderte Menschen in Zukunft mehr denn je brauchen.
Nun wünsche ich uns noch einen erfolgreichen Verlauf der heutigen Fachtagung und bedanke mich ganz herzlich für die Einladung und Ihre Aufmerksamkeit.